REZENSIONEN

 

Bilder von Peter Dietrich

 

Umwelt hat für Peter Dietrich zwei gleichberechtigte Aspekte: Innenraum und Landschaft; zugespitzt: Zimmer und Graswuchs vor hohem Himmel. Das Umeinander beider Bereiche ist nicht konfliktfrei. Beklemmend ungehindertes Wachstum dringt durch alle Ritzen in die Ruhe und Abgeschlossenheit des Interieurs. Riesengras droht durch Fenster; Fußböden und Wände werden zu Grasteppichen; Gebäude sind so menschenverlassen wie Gelände.

 

Türme, Schneisen, Straßenstücke, Fensterausschnitte, mindestens Horizontlinien sind der Überwucherung ausgesetzt. Ihre fragmentarische Geometrie versucht Reglementierung, verliert aber selbst die Eindeutigkeit. Wand, Grasebene, Himmel, sind eins.

 

Eine zweite Front verläuft zwischen künstlerischen Intentionen und quer zur thematischen. Die kleinformatigen Bilder reduzieren die Darstellung ins Flächenhafte und setzen Themenspannung in Formspannung um. Umfangsichere Szenen vertauschen den leeren Raum mit dinggefüllten, dessen verwirrende Überschneidungen Platzkonkurrenz sind.

 

Alle Widersprüchlichkeit ist nicht ohne Umsicht auf Versöhnung. Die Pinselhandschrift folgt halb dem gleichlautenden Wachstumsgesetz für Gräser, halb motorischer Regelmäßigkeit und „verwebt“ die Erscheinungen mit dem Ichausdruck. Es sieht so aus, als habe Landschaftsmalerei noch eine Renaissance vor sich.

 

Anselm Crämer

 

 

 

Peter Dietrich. Zeichnungen und Skizzen

 

Sehbahnen ist vielleicht das treffende Wort. Sie führen quer und ungeniert durchs unübersichtliche Gelände des Sichtbaren, das voll ist von ausgeleierten Wahrnehmungsvorlagen allzu oft gemalter Bilder. Dem Blick folgt ungeduldig und voreilig nervös der Strich, er hängt sich voreilig ans auffällige Detail, geht großzügig über Ungereimtheiten hinweg, sticht genüsslich in Vertiefungen. Als endloser Faden stößt er über den Bildrand, um aus schlechtem Gewissen und mit neuem Vorurteil aus einer anderen Ecke zurück zu kehren, zu verstärken, zu revidieren. Zeichnen ist eine Frage an die Welt: ob sie so komisch sei, wie sie auf den ersten Blick aussieht.

 

Die Kunst hat bisher übersehen, dass jede schnelle Beobachtung, jeder implantierte Kommentargedanke, jede schnell gezeichnete Auffälligkeit eine winzige Karikatur (Groteske) ist, deren Wahrheit beim korrigierenden Weitermalen geleugnet und wegretouchiert wird. Peter Dietrichs leistet sich das Gegenteil: seine Dinge zeigen wenig Fleisch und Haut, doch nimmt er ihre von so vielen Kunststilen malträtierte Existenz unermüdlich ernst. Eine Phantasie ohne Phantastik dirigiert durchdringlich – unauflösliche Farbspurennetze ohne die halsstarrige Subjektivität, die surrealistische Écriture -automatique und Informel geboten haben. Einfälle äußern sich als Fragen an die gesellig-gesellschaftliche Wirklichkeit. Antworten greifen hinterrücks durch die Augen ins Gehirn.

 

Anselm Crämer

 

Der Künstler, Mathematiker, ehemaliger Kritiker der Tageszeitung DIE WELT, Anselm Crämer, hat zahlreiche Artikel auch in anderen Zeitungen und Kunstzeitschriften veröffentlicht.